Glück
und Staub

... oder vom Werdegang einer kleinen,
ja vielleicht sogar winzigkleinen aber doch trotz
allem irgendwie putzglücklichen Ratte.
 
 
 

aus der Liebe ins Wort
von
Kilian Sternad
 

Ort und Person könnten auch anders sein ...
Besagte Person lebte vor nicht allzu langer Zeit in einem düsteren und dörren Land und war, um das gleich vorwegzunehmen, zunächst ehrlich und dann glücklich geworden. - Und auf diese Reihenfolge pflegte sie stur zu pochen.
Nicht, daß sie immer schon sehr ehrlich gewesen wäre, nein, und wohl war sie wahrscheinlich auch noch nicht so absolut total völlig ganz ehrlich geworden, aber nach den für eine Rattenjugend geltenden Maßstäben hatte sie sich sehr lange Zeit mit sich selber herumgeschlagen und war zumindest so schlau gewesen zu erkennen, daß sie entgegen ihrer früheren Vermutung doch nur eine ganz gewöhnliche, kleine Ratte war, wie eben all die anderen Ratten um sie herum es auch waren.

Und auch alles, was im weiteren geschah, hätte anders kommen können...
Für ihre gewaltigen Mühen um diese Erkenntnis, so glaubte eben jene kleine Ratte, hatte sie die große Oberratte, die ganz hoch droben in den weiten, weißen Wolken saß, wo es hell und warm war, ganz besonders lieb.
Wie dem auch sei, als die kleine Ratte wieder einmal ganz allein war in der großen, dunklen Welt, und fror, da beugte sich die große Oberratte tief zu der kleinen Ratte hinab und schob ganz sachte den grauen Vorhang einen Spalt zur Seite, so daß die kleine Ratte hindurchschlüpfen konnte und gerade in die von grenzenloser Liebe durchsonnten Augen ihres himmlischen Elternteiles blickte  und sie bemerkte nach einer kürzeren oder längeren Zeit - wer mag das schon sagen - , daß sie sich darin spiegelte und ihr war es, als blickte sie zugleich auch aus diesen strahlenden, himmlischen Augen hinaus und direkt auf sich selbst herab.
In dem Sichdarinspiegeln aber war das Hineinblicken und das Herausschauen eines geworden, ja eigentlich immer schon gewesen - unsere kleine Ratte hatte es nur bisher noch nicht bemerkt - und was da die kleine Ratte glücklich war, so rundum völlig total absolut glücklich, das läßt sich gar nicht nachvollziehen, geschweige denn beschreiben.
Zum ersten mal in ihrem jungen Rattenleben spürte sie die große Wärme, die von der Oberratte ausging und von der sie alle lebten.

Damit ihr, wie sie meinte, der Abschied von der Oberratte im hellen Himmel nicht gar so schwer falle, durfte sie ein wenig vom Himmelslicht in ihrem kleinen Rattenherz behalten, als sie wieder durch den grauen Vorhang hindurchschlüpfte, zurück in ihre dunkle, karge Welt.

Vom Wunder jenes Tages ...
Wie sie so über alles nachsann, da bemerkte sie, daß ihr kleines Rattenherz von dem reinen Himmelslicht der großen Ratte ganz golden geworden war und wie sie sich so ganz über das ihr zuteil gewordene Geschenk freute, und tief in ihr leuchtendes goldenes Herz schaute, da war es ihr, als blickte sie wieder direkt in die warmen, liebedurchsonnten Augen der Oberratte, die sie freundlich anblinzelte, und spiegelte sich darin und da wußte sie ganz plötzlich, daß sie niemals wieder allein sein würde in ihrem Herzen und hatte plötzlich die große Oberratte, trotz all der Würde, die sie ausstrahlte, ganz lieb.

Vom Staub ...
Doch wißt ihr, der Himmel ist groß und weit, und das ist die Erde auch, und das wußte unsere kleine Ratte nicht, noch nicht. Sie wollte den anderen Ratten etwas von der Oberratte erzählen und mußte doch einsehen, daß man ihr nicht glaubte, das erfuhr sie in ihrem Herzen und weil sie noch nicht gelernt hatte, mit den anderen Ratten in Frieden zusammen zu leben, drang ein wenig, oder war es gar viel? vom Staub der Außenwelt in ihr offenes Herz ein.
Es war ihr alles »Gott« geworden, so nannte sie nämlich die große Oberratte jetzt, denn sie glaubte, das Wort »Gott« müsse wohl dieses und nichts anderes bedeuten, und für sich und für die anderen Ratten nahm sie dann, wohl auch, weil sie es nicht besser wußte, das Wort »Mensch« in Gebrauch und eines Tages, als man sie darum gebeten hatte, doch etwas über ihr Leben im Himmel und auf der »Erde«, so nannte sie jetzt die düstere Welt, in der sie auch ein bißchen lebte, zu erzählen, und als ihr Herz noch staubiger geworden war, da schrieb sie, so gut das eben noch ging:
 
 

Meine Lieben.
Mein Herz ... ist kalt.
Nicht ich bin es,  ... der hier sitzt.
Nicht ich bin es, ... der hier spricht.
Nichts, ... das die Stille in mir ... zum Tönen ... bringt.
Nichts, ... das mich bewegt.
Meine Umgebung, ... sie ödet mich an - nein!
Es gibt sie ja gar nicht, meine Umgebung.
Was da ist, ist Nichts!
Doch auch das ist falsch!
Doch auch, daß das unwahr ist, ist richtig.
Die Menschen!
Sie treiben ihr buntes Spiel,
das mir längst grau geworden ist.


Kein Schein mehr da, kein Glanz.
Und was das alles soll, ich weiß es nicht.
Wozu die Frage nach dem Sinn?
Und wozu die Fortsetzung all dessen?
Nein.
Das ist es nicht!
Ich stiere
in den Spiegel und zwei kalte, leblose Augen
beachten mich nicht,
blicken noch nicht einmal ins Leere,
sind zu tot, sich selbst darin zu verlieren,
geschweige denn zu entdecken, was auch immer.


Gott!
Oh ja, ... Du, ..., Gott.
Ich scheiß auf das alles, wenn Du
es mir nicht zeigst.
Was soll der Rummel, das Theater,
die Bewegung und der Stillstand?
Hast Du Dich, falls es Dich gibt, vertan, nein?
Das ist nicht ... zum Lachen ... und das
ist auch nicht ... zum Weinen ... .
Nein, das sagt ... mir ... nichts.
Die Nacht ... ist dunkel ... und kalt, ...
die Wüste ... trocken ... und das Wasser ... naß.
- Na und!!! ? ...

Irgendwann, ... irgendwo, ... irgendwie, ... da hast Du mich verlassen ... .
Und ich ... habe es noch nicht einmal ... bemerkt.
Ja warst Du denn jemals wirklich da? -Oder quälst Du uns Menschen nur, so, wie man kleine, hilflose Käfer auf Nadeln steckt um sich darüber in geheuchelter Neugierde zu wundern, daß sie nicht aufhören wollen zu zappeln?
Welch größeres Leid gibt es, als das der Liebe und was ist auswegloser, als sich darin zu verlieren?
Wozu stelle ich all die Fragen, wozu bewege ich mich überhaupt?
Nein, ich bin es nicht.
Also schaue ich Dir zu, was Du da so treibst, was habe schon ich damit zu tun? Nichts, ja, Du hast recht.
Ich habe nichts zu sagen und nichts zu denken, soviel ... steht fest. Das ... ist etwas, was ich nun doch weiß, ... also muß es falsch sein, sonst bin das wieder ich ... - und ich ... - mich gibt es nicht.

Ich sehe und beobachte mich, ... wie ich tanze, singe, springe und lach, ... den anderen Gemeinheiten an den Kopf werfe,  ... ihnen die Eingeweide aus dem Leib reiße ...-... um ihnen damit zu beweisen, vor Augen zu führen, ... daß auch sie ... nichts ... sind. ... - Sie wenden sich von mir ab, ... also habe ich mich wohl geirrt, was solls, ich habe mich ja schließlich nur ... beobachtet ... dabei - aber wenn Dir das nicht paßt, ... dann lösch mich bitte endlich, endlich aus. - Ja, streiche ihn, meinen Namen, der ja wohl doch gar nicht der meinige ist, sein kann, streiche ihn doch aus Deinem Buche des Lebens, wo ich nun eh schon seit Jahren zu den Karteileichen gehöre, die Dir den Platz für irgendwelche sinnvolle Eintragungen besetzen. Ja, räum´ endlich einmal auf in Deinem Stall, mach doch klar Schiff, bitte, mit mir.

Hindere mich daran, Dir noch länger etwas vorzujammern, öde Dich nicht selber an. Wie kannst Du mich nur erdulden? Bist Du verrückt, daß Du mich überhaupt in die Welt gesetzt hast? Vielleicht bist Du am Ende aber auch nur, wie ich, ein kleiner Alki, wir sollen doch alle nach Deinem Ebenbild sein?
Ja, nein. Ich weiß es nicht.
Ich warte darauf,
... daß etwas passiert.
... .
Ich schließe ...
meine Augen ...
und höre ...
... den Schrei, ...
... .
Ja, Herr,
Gott,
...
es tut weh, ... .

... i c h ... ... l i e b e ... ... ... ... ... ... D i c h ... .
... i c h ... ... b e g e h r e .... ... ... ... D i c h ... .
... i c h ... ... e r i n n e r e ... ... ... ... m i c h ... .

Ja, ... Du bist, ... und Du hast es nicht anders gewollt, ... hier sitze ich nun und das dumpfe ... Weh ... der Sehnsucht ... treibt mir Tränen ... in die Augen.
Ja, ich habe sie oft ... weinen ... sehen, Deine Kinder, aber immer auch voll Glück und voller Dankbarkeit, dafür, daß sie wenigstens aus Sehnsucht nach Dir weinen, u n d  dankbar auch dafür, daß sie das wissen.
Ja, ich liebe Dich, und der König in meinem Herzen bist Du.

Niemand - der jemals zuvor - und jemals nach Dir - mein Heiligtum betrat.

Nichts kann ich darüber schreiben, ... wenn Du es nicht willst.
Was da nach außen geht ... liegt nicht bei mir.

In Deiner bloßen Gegenwart, in Deiner bloßen Nähe, da bin ich glücklich, und nichts in der Welt wird jemals wieder mein Herz finden. Du, Herr, hast es Dir zu eigen gemacht, und ich weiß nichts darüber, noch will ich es je wissen. Ich lasse Dir Dein kleines Geheimnis, das Dir offensichtlich so viel Freude bereitet.
Wo wir uns sahen und wann, bleibt unser Geheimnis.
Ich gebe zu, ich habe versucht, es zu verletzen, habe aber dabei nur selber die Erinnerung verloren, bis Du Dich wieder meiner erbarmt hast. Ich weiß nichts darüber.
Seit ich Dein Bild gesehen habe, Herr, zwinkerst Du mir von überall her zu und ich sehe, daß ich jetzt anders tanze, anders lebe, anders rede, anders lache, als zuvor. Du bist der wahre König meines Herzens und überall wo Du bist, da will ich auch sein.
Ich sehe Dich in der Natur, im Herzen der Fische, in den Augen der Geister und in allem was da ist, auch jenseits davon. Eigentlich ist es falsch, nicht Du bist in den Dingen und Lebewesen, sie sind in Dir! Was bin ich doch nur für ein Narr. Aber wenigstens liebe ich Dich, was anderes spielt da keine wirkliche Rolle mehr.

... - Ich glaube, es hört uns jemand zu, aber das ist egal, denn Du bist das, und Du weißt schon, was Du willst, das glaube ich ganz fest.
Ich habe mich inzwischen verändert, selbst meinen menschlichen Körper fange ich an zu lieben, innig zu lieben, denn er ist ja von Dir. Ich habe lange geglaubt, er wäre von meinen Eltern, aber ich weiß jetzt, daß das nicht wahr ist, nein, Du warst das, Du bist das.
 

Ich - liebe - Dich

Ich glaube, es ist Zeit, daß wir jetzt Schluß machen. Was wir beide zu bereden haben, geht niemanden etwas an, und falls doch, werden wir ihm das schon persönlich sagen, bzw. es uns auf diese Weise zukommen lassen.
Ich kann und will nicht mehr begreifen, als daß Du es bist, Du, mein Herr und König, und auch das ist insoferne nicht ganz sicher, weil ich es bin, der hier begreifen soll, wo ich mir doch nicht gewiß darüber bin, ob ich mir mich nicht nur einbilde, in Deiner Klarheit existiere ich zwar, aber ich für mich allein, ohne Dich, gibt es mich denn da?
Das macht aber nichts. Hauptsache, Du bist da.
Du bist es, ... das ist es.
Was könnte ich schon anderes wollen?
Ich habe nicht mehr und nicht weniger zu sagen.
Ich?
AUM.
Es mag sein, daß es da irgendwelche Übungen gibt, es kann aber auch nicht sein. Besiegt hast Du mich mit einem Augenzwinkern.
Mit DEINEM Augenzwinkern ... .
 

So schrieb sie also, ...
... unsere kleine Ratte, und dachte nicht im geringsten daran, wie unverständlich diese Zeilen wohl jemandem sein mußten, der sie nicht näher kannte, geschweige denn eine Ahnung von jener ganz besonders heißen und innigen Liebe hatte, die zwischen der Oberratte und ihr bestand.
Und so blieb eine große Portion ihrer Erlebnisse und Erfahrungen auf der Strecke, weil sie deren Notwendigkeit für ihr Leben noch nicht so recht begriffen hatte, wattegebettet in die Sphären der Liebe und des Lichts, darin sie, wie es Ratten so zu tun pflegen, natürlich maßlos schwelgte.
Natürlich war es ihr wohl irgendwie doch klar, daß es ihr nur durch stunden- und aberstundenlanges Sitzen geglückt war, ihr Empfinden zunächst von ihrem Körper freizubekommen, und daß sie das nicht hinbekommen hätte, ohne gleichzeitig auch ihr Innenleben bis auf das kleinste I-Tüpfelchen kennenzulernen und die Ton-Leiter der Gefühle und Gedanken klar zu leben.
Aber verglichen mit dem Blick der Oberratte war dies alles weniger noch als ein Traum und daher maß die kleine Ratte dem eben keine Bedeutung mehr bei.
Ab und an, wenn doch hin und wieder ein wenig vom Staub dieser Welt in ihr kleines Rattenherz drang, ließ ihre Kontrolle des eigenen Körpers und die Reinheit ihres Innenlebens nach und sie spürte, wie sich ein neuerlicher Schleier vor ihr hinspann, der dicker und dichter zu werden drohte. - An solchen Tagen, da dämmerte es ihr ganz sanft, daß da vielleicht doch ein kleiner Zusammenhang bestünde, aber im Grunde war es trotz allem nur die Sehnsucht in ihrem Herzen, die wirklich zählte.
Meist war bereits eine einzige Träne genug, auch den dicksten Schleier noch im selben Moment, da sie vergossen wurde, zu zerreißen.

Vom Fortgang der Dinge ...
Vor den Augen all der anderen Ratten existierte das Himmelstor nach wie vor natürlich nicht und sie blieben folglich auch weiterhin von der Oberratte getrennt durch das, was sie für Wissen hielten. - Und unsere kleine Ratte blieb weiterhin für sich, das heißt, nicht ganz, denn sie hatte ja die Oberratte, die für sie da war, - und was will man mehr?
Es war nun einfach so, daß diese ganzen Übungen, so wichtig sie für unsere kleine Ratte auch einmal gewesen sein mochten, in sich leerliefen. Sie schlossen sich zu einer Art Ring, und weil es ein Ring war, hatte er ein Loch. War es, daß die Liebe zwischen der kleinen Ratte und der Oberratte den Ring größerschmolz, oder auch nur, daß das Sich-für-wichtig-halten der kleinen Ratte in dieser einen und wahren Liebe einfach verdampfte und demgemäß ihr Ego kleiner wurde, wie dem auch sei, eines Tages war es so, daß dieser Ring die kleine Ratte ganz umschloß. Und so sprach nun unsere kleine Ratte ständig mit der Oberratte, bzw. natürlich umgekehrt, wenngleich das für sie beide nicht mehr länger spürbar war, denn diese Art Trennung und Reihenfolge blieb gerade noch vor dem Ringe stecken, im Kanal, beim Wissen der anderen Ratten, dort war ihr Platz und ihre Notwendigkeit.
Zuerst sprach sie viel mit der großen Oberratte, begann dann aber mehr und mehr zu flüstern und fand dann später in schweigendem Staunen ihr Glück und ihre Erfüllung und als das so war, wie es eben ist, begann sich der Ring dahin und dorthin zu drehen bis die kleine Ratte es lustig fand, und weil sie keine Orientierung mehr brauchte, hatte sie die auch nicht mehr zu verlieren.

Weil Schweigen und Staunen das letzte war, was von meiner kleinen Ratte je gesehen wurde - und auch das ist natürlich nicht ganz sicher, ich nehme es ganz einfach einmal an - will ich das jetzt auch so halten und diesen Kommentar beenden, indem ich mich in Schweigen hülle, das Schweigen, in dem die Welten eine sind, eine oder keine, ... ,
... - wer kann das schon sagen ... .

 

Autor: Kilian Sternad