Das Wasser des Lebens


Oder warum nur
Narren im Märchen ihr Glück finden...
Oder wo der
Alltag
endet
und das Märchen
beginnt...
Oder ganz einfach oder...


Wien, den 24. Jänner 1998


Unachtsam,
eingebettet in seine Gedanken,
den Kopf soo voll,
den Kopf soo voll von soo vielem,
den Kopf soo voll von soo vielem, ach soo wichtigem,
den Kopf soo voll von soo vielem, ach soo wichtigem, jagte er dahin,
jagte er von einer Fertigstellung in die nächste,
jagte er von einem Gesichte hin dem nächsten zu.

Er dachte, die Herzen der Menschen um ihn herum wären ihm wichtig.
Er dachte, dies wäre genug.
Er dachte, er wollte ihnen Hoffnung spenden und Trost,
merkte aber dabei nicht, daß er dazu gar nicht imstande war.

Denn er hatte noch nicht gelernt, daß ein Baum nur Früchte tragen kann,
solange seine Wurzel in der Erde lebt.
Denn er hatte noch nicht gelernt, daß ein Baum nur Halt spenden kann,
solange seine Wurzel in der Erde lebt.
Denn er hatte noch nicht gelernt, daß ein Baum nur schützen kann,
solange seine Wurzel in der Erde lebt.

So kam es, daß er begann, Fehler zu bekämpfen, statt die Wahrheit zu begreifen.
So kam es, daß er begann, zu sprechen, anstatt zuzuhören.
So kam es, daß er begann, zu denken, anstatt zu lauschen.
So kam es, daß er die Melodie seines Lebens verlor.
So kam es, daß er aufhörte, sich im Licht zu wiegen.
So kam es, daß seine verdorrte Wurzel steinern ward
und brach.

Das Lachen der Blumen war ihm nunmehr fremd.
Vom Gesang der Berge blieb nur noch der ächzende Wind.

In seiner Brust den Frieden der Verendung, zog er fort.

Da ihn kein Außen mehr hielt und
da ihn kein Innen mehr rief
da führte ihn sein Schritt nach Anderland.

Da kein Manager ihn mehr stieß und
da keine Frau mehr nach ihm rief
da führte ihn sein Schritt nach Anderland.

Da er an keine Dogmatik mehr geglaubt und
da er keinen Ratschlägen mehr vertraut
da führte ihn sein Schritt nach Anderland.

Aber Anderland ist weder hier noch dort;
Anderland, das findet man an jedem Ort.
Und nichts ist nah und nichts ist weit
in diesem Land ohne Zeit.
Und keiner ist allein und keiner ist zu zweit
in diesem Land ohne Zeit.
Aufhören zu suchen und
anfangen zu begreifen
das ist alles
sehr weise
und es
bedeutet
ein
Narr
sein.

In Anderland erhält jeder sein Gesicht
durch das Herz aus dem er spricht.
Ein jedes Herz ist in Anderland aber
ein Brunnen.
Die Bewohner von Anderland haben alle keinen Durst,
denn sie schöpfen sich selber ihr Wasser aus der Tiefe ihres eigenen Selbst.

Sehr kleine Menschen, denen der Flug ihrer Gedanken und Wünsche die Beine kurz gemacht hat, sehen nicht weit über den Rand ihres Brunnens hinaus und kennen ihn nur von außen.
Da sie eben nur knapp über die Kante lugen können, gelingt es ihnen nicht, den klaren Schimmer in der Tiefe zu erblicken, und so halten sie ihre Quelle für versiegt.
Mit jenen Brunnen der Herzen aber hat es eine geheime Bewandtnis. Jeder Brunnen hat die Größe der Gedanken und Wünsche seines Besitzers und das Wasser darin liegt so tief wie die Tiefe seines Geistes dies vorgibt. So ist sich jeder bei der Suche scheinbar selbst im Weg.
Die Summe der Gedanken und der Wünsche und des Geistes von einem Menschen muß nun aber nicht unbedingt derjenigen eines anderen gleich sein und so kommt es mitunter vor, daß einer, der fälschlicherweise meint, selber einen leeren Brunnen vorzufinden, aus demjenigen eines anderen ganz leicht zu trinken vermag, indem er nur seine eigene Hand hinabstreckt. So dies geschieht ereignet sich aber etwas ganz wunderbares und einzigartiges, das die Bewohner von Anderland immer wieder aufs neue in ihrem Schweigen um das Wesen der Wahrheit bekräftigt:
Der Wasserspiegel des Spenders beginnt sich zu heben, solange er freiwillig gibt, ohne und solange seine Wünsche dabei nicht mehr werden. Sowie er aber beginnt, sich etwas darauf einzubilden, beginnt seine Brunnenwand mit seinem Eigensinn Schritt zu halten. Um so teurer er das Wasser des Lebens nun zu Markte tragen will, umso tiefer wird die Kluft, die sich von der spiegelnden Oberfläche bis hin zum Brunnenrand erstreckt.
Wer aber ohne dabei an sich zu denken, sein Herz noch weiter öffnen will, der mag es erleben, daß das Wasser sich dabei über den eigentlichen Brunnenrand ergießt und er so ganz ungewollt zum See für andere wird, mit nicht länger erahnbarer Tiefe und von völlig unbekanntem Ausmaß.
Nicht selten fühlen sich die Söhne des Sandmeers, die ich bisher noch gar nicht erwähnt habe, durch einen solchen See des Lebens in ihrer Existenz bedroht. Von den Söhnen der Wüste wird berichtet, daß ihre eigene Natur sie von der Trockenheit der Herzen anderer leben macht. Sie sind unter den Kindern der Menschen nur schwer zu erkennen, und wer das tut, der muß darüber schweigen, da er sonst sein Visum verliert und nicht mehr länger dienen darf in dieser Welt.
Wenn nun die Söhne der Wüste Kunde davon erlangen, daß die Geburt eines solchen Sees sich ankündigt, schicken sie Boten aus. Sie alle sind große Meister der Tarnung und vom Staub der Umgebung nicht zu unterscheiden. Sie sind nur mit dem Auge des Herzens zu erkennen und lesen in den Gedanken ihrer Umgebung wie in einem aufgeschlagenen Buch.
Diese Boten verfügen über große Macht und säen Zwietracht in den Herzen der Kinder dieser Welt, um das bereits verschluckte Wasser durch Neid und Mißgunst in gärende Fäulnis zu verwandeln. Die aufsteigenden Dämpfe entfachen sie zu gegebener Zeit mit der Fackel ihres geheimen Zornes und verwandeln damit die nahezu Genesenen erneut in Träger ihres brennenden Hasses.
An einem solchen Schauplatz des Kampfes ist vieles offenbarer, als anderswo. Viele der Verwundeteten werden in einer solchen Situation selbst zum See. Wer je zu einem See ward, ist in Anderland ein König und jeder Tropfen seines vergossenen Bluts wird dort zu einem in Gold gefaßten Edelstein in seinem Sternendiadem.

Ohne Zeit ist Anderland und
ohne Zahl die Schar seiner Könige und Getreuen.
Wisse nur,
der Weg nach Anderland ist weit,
denn Du bist es selbst.
Die Finessen Deiner Eitelkeit
sind die Dornen auf diesem Weg, an denen Dein Gewand zerreißt.
Deine Wünsche sind die Felsen, die es zu überwinden gilt.
Deine Sorgen, Ängste und Nöte, sind die Steine und die Scherben,
an denen Du Dir die Füße blutig trittst.
Und die Welten Deiner Vorstellung
sind die Länder, durch die Du alle hindurch mußt.

Wenn der Jubel in Deiner alten Seele nicht mehr verstummt.
Tut jede Blume, jeder Berg, sein geheimes Lied Dir kund.
Dann wird alle Zeit von Dir weichen
und die Söhne des Lebens Dir die Hände reichen.
Stumm und wissend wirst Du dann sein
und nicht mehr allein.

Autor: Kilian Sternad